Grundsätzlich bin ich ja der Meinung, das eine gute Kneipkultur gerade daran zu erkennen ist, dass die Kneipe nicht als abzuspulende Traditionsveranstaltung begriffen wird, sondern vielmehr die Tradition des Kneipens äußerlich und innerlich gelebt wird. Schlechte Kneipen zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass die Commentfestigkeit der Corona genauso wie das Improvisationstalent der Chargierenden zu wünschen übrig lässt. Ist es aber gerade umgekehrt, so entwickelt sich die Kneipe nach einem repräsentativen Offiz im Inoffiz zu einem orchestralen Suffstück par excellence. Wortwitz und ausgelassene Stimmung tragen sich hier gegenseitig auf dem Vehikel disziplinierter Kenntnis von Vortrag und Gegenrede, von Angriff und Parade, von Zwischengesang und genehmigendem Zutrunk, hin zu einem legendären Kneiperlebnis und damit zur bewahrenden Pflege studentischer Kultur.
Spricht man allerdings heutzutage von Trinkkultur, meint man meist die Verkostung eines Achteles zur französischen Käseplatte oder das genüssliche Runterspülen teurer argentinischer Biosteaks mit ebenso teurem Craftbeer. Derartig bemühter Konsum vermag dem Verbindungsstudenten nur ein müdes Lächeln abzuringen. Trinkkultur ist die kultivierte gesellschaftliche Zusammenkunft beim Trinken und nicht, was man bei einer gesellschaftlichen Zusammenkunft richtiger- oder falscherweise trinkt.
Dass vielen Deutschen die Trinkkultur vollständig abhanden gekommen ist, macht sich durch alle Alters- und Gesellschaftsklassen bemerkbar. Vom Komasaufen experimentierender Jugendlicher bis hin zu den haarsträubenden Absurditäten betrieblicher Weihnachtsfeiern finden sich allenorts Auswüchse dieses Missstandes. Auch der studentische Trinkwettbewerb wird immer öfter aus den wohlmeinend abgedunkelten Souterrainräumlichkeiten ohne Not in die Öffentlichkeit getragen und so selbst zum hochnotpeinlichen Bild finaler kultureller Entkoppelung.
Daher erfreue ich mich stets an unserer traditionellen Nikolauskneipe. Es ist wohl weniger dem angepassten Liedgut als vielmehr der dekorativen Behaglichkeit dieser Veranstaltung geschuldet, dass wir hier jedes Jahr aufs Neue eine echte Form von Trinkkultur schaffen. Weihnachtliche und studentische Klassiker wechseln einander ab und auch die Getränkeauswahl ist commentgemäß dem Anlass angepasst. So wird das Studentische mit dem Vorweihnachtlichen und das Familiäre mit dem Bundesbrüderlichen verbunden.
Wenn sich der geneigte Leser nun fragt, was dies alles mit dem Nikolausstiefel zu tun hat, so wird er das Rätsel wohl nur lösen können, wenn er zur nächsten Nikolauskneipe selbst erscheint. Schließlich bekommen seit jeher nur die artigen Kinder etwas geschenkt.